Füle - Interview über Sommeraufenthalt von Katrin Leuschner

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Annette Lehmann
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Füle - Interview über Sommeraufenthalt von Katrin Leuschner

Post by Annette Lehmann »

Liebe ViN-Freunde, lange haben wir nicht an dieser Stelle berichtet, wie sich unser „Projekt Füle“ in den letzten Jahren entwickelt hat. Das möchten wir jetzt endlich nachholen:

Wer nach Füle kommt, gerät immer wieder ins Staunen, was für ein wunderbarer Ort die Auffangstation dort ist. Am Rande des Dorfes warten unsere Hunde auf ein neues Zuhause. Aber es gilt immer der Grundsatz: Wer in Füle angekommen ist, muss nicht mehr gerettet werden – der ist schon gerettet!
Nur: Es fehlt eben noch diese eine Familie oder diese eine Person, die der Fellnase ein geborgenes Zuhause schenkt und noch mehr Zuwendung, als es in Füle möglich ist.
Zwar kümmern sich Hajnalka, die Leiterin, und mehrere Angestellte sowie Hajnalkas Familie liebevoll um die Hunde – aber natürlich: „Mehr geht immer!“ Und nur zu gerne werden Emil, Snoopy, Bella und co. ihre Hütte und ihren Kennel, auch den großen Auslauf, den sie zur Verfügung haben, gegen ein gemütliches Plätzchen, regelmäßige Gassigänge, und jede Menge Streicheleinheiten und Spaß mit ihren eigenen Menschen eintauschen.

Viele Besucher/innen sind in diesem Jahr in Füle gewesen und haben sich einen Eindruck von der Arbeit dort verschafft und so manches Mal ist am Ende auch einer unserer Schützlinge mit in ein neues Zuhause gefahren.
Aber auch sonst gilt: Helfende Hände sind dort immer willkommen!
Wer mag, kann auch in dem „Tiny house“ übernachten, das an Stelle des alten Weinhauses dort entstanden ist und Gästen zur Verfügung steht. Näher dran an den Hunden geht nicht. Und es ist eine besondere Erfahrung, den Tagesablauf und all den Trubel mitzubekommen, der dort herrscht.

Katrin Leuschner, Team- und Vorstandsmitglied von ViN, ist im August/September zum wiederholten Mal dort gewesen und hat 10 Tage lang als Bewohnerin des Tiny-House den ganzen Tagesablauf hautnah miterlebt.

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Wir haben sie nach ihren Eindrücken gefragt:

Kannst du die Atmosphäre in Füle beschreiben?

Katrin: Wenn man ankommt, ist es eine freudig erwartende Atmosphäre. Die Hunde machen ziemlich Radau. Diejenigen, die einfach auf dem Gelände herumrennen dürfen, begrüßen einen freundlich, sind neugierig, während sich die anderen in ihren Ausläufen am Zaun drängeln und schauen, was passiert.

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Wenn man dort eine Zeitlang lebt, erlebt man die Atmosphäre größtenteils friedlich, natürlich immer wieder mit Gebell: Die Hunde spielen miteinander und streiten, sie liegen aber auch einfach zusammen faul in der Sonne herum. Und ich finde, es ist eine sehr erdende Energie, eine freundliche, offene und herzliche Atmosphäre. Klar sind die Hunde laut, und wenn was Besonderes ist, wenn das Füttern anliegt, liegt auch mal Stress in der Luft. Aber im Großen und Ganzen strahlt der Ort einfach Ruhe aus. Den Hunden geht es gut dort, das spürt man einfach.



Wie wird in Füle mit den „besonderen“ Hunden umgegangen – also denen, die unter einem Trauma leiden, die besonders ängstlich oder besonders aggressiv sind?

Katrin: Das kommt darauf an, was die Hunde mitbringen. Zum Beispiel Cid, Diego und Ronin brauchen einfach vertrauensbildende Maßnahmen und ganz viel Geduld, denn sie müssen erst einmal begreifen, dass die Menschen ihnen nicht (mehr) Böses wollen. Auf sie muss mit ganz viel Bedacht zugegangen werden und mit äußerster Vorsicht. Immer, wenn es die Zeit erlaubt, beschäftigt sich man mit ihnen: Es wird gefüttert, teils aus der Hand, damit sie lernen, dass aus Menschenhand Gutes kommen kann.

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Der Kennel und die Hütte werden gereinigt. Und wenn mal Zeit sein sollte, setzen sich die Angestellten einfach mal zu ihnen, geben ihnen vielleicht ein Leckerchen und schauen, was passiert. Meistens ist Hajnalka diejenige, die am meisten „gehasst“ wird, weil sie manche Dinge einfach durchsetzen muss, z.B. den Besuch beim Tierarzt. Aber auch ihr gelingt es meistens, im Verlauf der Zeit das Vertrauen der Hunde zu gewinnen.
Da ist z.B. Bizsu.



Nach ihrer Ankunft kam sie in die Quarantäne-Station und musste erst einmal in ihrem Kennel bleiben und war sehr misstrauisch allem und jedem gegenüber. Und natürlich wird nach Möglichkeit trotzdem mit dem Hund spazieren gegangen. Diese Spaziergänge sind wichtig, um auch ihr Sozialverhalten gegenüber anderen Hunden zu beobachten. Denn nach Möglichkeit werden sie dann später mit anderen Hunden vergesellschaftet und dürfen dann mit ihnen zusammen spielen und leben.



Als nächste Stufe dürfen die Hunde dann ihren Kennel verlassen und die Angestellten schauen, was der Hund gerne mag: Spielen oder baden oder einfach chillen – was auch immer. Dann werden die Hunde zusammengeführt, die ähnliche Energie und „Interessen“ haben. So leben jetzt Bizsu und Maszola zusammen. Natürlich immer unter Beobachtung.



Oder da ist Max, der immer wieder schnappt: Er ist nicht böse, sondern tut das aus Unsicherheit, weil er einfach nicht weiß, was er machen soll. Auch das wird sich eines Tages legen.

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Immer gilt: Es wird individuell auf das Trauma des Hundes eingegangen und es wird immer geschaut, welche Bedürfnisse hat der Hund? Will er in einer Gruppe leben? Will er lieber alleine sein?
Und natürlich: dieses genaue Beobachten gilt zwar besonders für die „besonderen“ Hunde, aber eigentlich für alle. Nur dass manche eben ganz problemlos in eine Gruppe integriert werden können.

Viele Leute würden gerne einmal nach Füle fahren, haben aber Sorge, dass sie das „Leid“ dort nicht aushalten würden und am Ende am liebsten alle Hunde mit nach Hause nehmen möchten. Wie kommst Du damit klar, wenn Dir einer (oder mehrere) besonders ans Herz wächst?

Katrin: Ich komme gut damit klar. Natürlich gibt es einige Schicksale, die mich besonders berühren. Und manchmal denke ich: den würde ich mit nach Hause nehmen, wenn ich meinen Otto nicht hätte. Aber Otto hätte dann einfach zu viel Stress.
Als Tiertherapeutin fühle ich mich den Hunden ja besonders verbunden. Und man spürt den Tieren in Füle deutlich ab: Es geht ihnen tatsächlich gut, auch wenn sie ein anderes Leben haben, als das wir für lebenswert betrachten. Wir Menschen haben ja bestimmte Vorstellungen, was ein Hund braucht. Und wenn der Hund das nicht hat, dann haben wir Mitleid mit dem Hund. Der Hund sieht das oft anders. Es gibt ja auch Hunde, die eben nicht vizslatypisch am liebsten auf den Arm wollen, wenn man in ihren Auslauf kommt; die sind einfach zufrieden, wenn sie ihr Futter bekommen und ab und zu ein gutes Wort und natürlich ein warmes Plätzchen. Außerdem haben sie dort normalerweise jede Menge Platz zum Herumlaufen, wie zum Beispiel Almos, den man sich nicht in einer engen Wohnung vorstellen kann. Das ist komplett anders als in deutschen Tierheimen, wo es in der Regel doch viel enger zugeht.
Unser menschliches Mitleid entsteht oft daraus, dass wir ein Defizit sehen, das es für den Hund aber nicht gibt. Der Hund lebt im Hier und Jetzt. Und diese positive Gegenwart gibt es in Füle für die Hunde, und das ist gut so.

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Ich habe das Gottvertrauen, dass jeder der Hunde seine Familie finden kann – und zwar die, die er braucht. Darum versuchen wir immer die Familien und Hunde zusammenzubringen, die wirklich zueinander passen. Es gibt ja Hunde, die Jahre in Füle waren (Kag zum Beispiel) und jetzt endlich reisen durften. Oft sind das Hunde, die eben nicht den klassischen Vorstellungen entsprechen und/oder besondere Bedürfnisse haben. Wir als Team versuchen immer, gerade auch diesen Hunden ihre Chance zu geben und oft gelingt das auch.
Kurz und gut: Ich kann nur jedem empfehlen, dorthin zu gehen, denn man wird auf jeden Fall erleben: Füle ist ein guter und ganz besonderer Ort!

Was hat sich in den letzten Jahren in Füle verändert und weißt du etwas über Zukunftspläne?

Katrin: In Füle hat sich nicht sehr viel verändert von den Gehegen her. Ein paar neue Kennel sind dazu gekommen und in der Folge wurden Areale geteilt, aber die Ausläufe sind immer noch sehr groß. In Füle sind die Bäume von der damaligen Spendenaktion jetzt so groß, dass sie für die Hunde wunderbar Schatten spenden.
Nebenan, aber doch strikt getrennt, liegt das Quarantänegelände, wo die Neuankömmlinge erst einmal untergebracht werden. Dort läuft natürlich immer sofort die gesundheitliche Überprüfung und außerdem werden die Hunde dort erst einmal auf ihr Verhalten hin beobachtet, um sie dann in eine Gruppe integrieren zu können.
Hajnalka hat ja in den letzten Jahren mit ihrer Stiftung noch das Gelände in Orgonás dazu genommen und dort hat sich in den letzten Jahren sehr, sehr viel verändert- sehr viel positiv verändert. Das Gelände wurde gängiger gemacht und neue Kennelanlagen eingerichtet.

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Vorne ist das Gelände für die Hundeschule. Durch ein zweites Tor kommt man in das Gelände, wo auch das Welpengehege zu finden ist. Auch hier gibt es neue Kennelanlagen. Durch alle diese Maßnahmen ist es für Hajnalka möglich, Hundegruppen kompatibel zusammenzusetzen, auch wenn manchmal nur zwei Hunde zusammen leben, so wie Lana und Negro. Der große Traum von Hajnalka ist es, dort auch eine Kastrationsstation aufzubauen. Dafür gibt es auch schon Container, die aber noch Ausstattung brauchen. Das Gelände ist 24/7 kameraüberwacht, so dass Hajnalka jederzeit sehen kann, was dort gerade passiert. Mittlerweile ist dort auch halbtags eine Mitarbeiterin, die die Hunde betreut. So ist zum Beispiel Zeit, mit den Hunden auch mal Leinenführigkeit zu üben. Und natürlich können die Hunde so auch viel mehr Zuspruch bekommen.
Auch die Hundeschule, die sonntags auf dem Gelände stattfindet ist inzwischen ein wichtiger Teil von Hajnalkas Tierschutzarbeit geworden. Etliche ungarische Hundehalter nehmen gerne daran teil, um einen gewaltfreien Umgang mit ihren Hunden zu üben. Und natürlich können „unsere“ Hunde dort teilnehmen, wenn denn das Personal dafür da ist, oft Hajnalkas Sohn oder Tochter oder auch mal Fülebesucher/innen.

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Es gibt übrigens auch eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, die oft mithilft und Oszkár manchmal mit zu sich nach Hause nimmt.
Im Ganzen staunt man immer wieder, mit welchen Ideen und mit welcher Energie Hajnalka alles vorantreibt.

Was bedeutet Füle für dich?

Katrin: Füle bedeutet für mich abschalten vom Alltag zuhause, es bedeutet für mich Dankbarkeit und Erdung, weil die Arbeit mit den Hunden sehr befriedigend ist. Wenn ich für die Hunde sorge und dort arbeite, dann schaltet der Kopf aus, der Gedankenstrom hört auf. Je länger ich da bin, desto schwieriger wird es für mich nach Hause zu fahren, weil man etwas gibt und 1000fach zurückbekommt. Da spielt es keine Rolle, ob es ein eigenbrödlerischer Hund ist, oder eine ganze Horde, die auf den Arm will, oder ein Hund, der einfach nur ignoriert werden will., weil er sonst misstrauisch wird.
Ein großer Traum wäre für mich, nicht nur einmal im Sommer hinzufahren, sondern 3-4mal im Jahr hinzufahren für 2-4 Wochen. Gerade in Urlaubszeiten ist dort ja immer viel los und dann würde ich einfach gerne da sein, vielleicht einfach auch mal ganz spontan. Man kann ja immer im Tiny House schlafen.
Manche suchen sich ein Kloster als Rückzugsort. Für mich ist das Füle: Bei mir ankommen. Und Stille.
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